Ira Mazzoni

Vom Schweben in Farbe

Zu einigen Gemälden von Gabriele Schade-Hasenberg

 

Sehr geehrte Kunstfreundinnen und Kunstfreunde,

 

Kunsthistoriker und Kunsttheoretiker werden auf eine harte Probe gestellt, wenn sie sich zu monochromen Gemälden äußern sollen. Dort wo es keinen Gegenstand, keine erkennbare Komposition gibt, keine Linie und keine Richtung, wo alles Narrative und alles Nennbare sorgfältig ausgeschlossen wurde, wo es nur um das Eine geht: Farbe, da flüchtet sich die Bildbeschreibung schnell ins Philosophische, Erkenntnistheoretische und fügt dem unerklärten (auch unerklärbarem) Kunstwerk ein Sprachwerk hinzu, das mindestens genauso hermetisch wirkt.

Da ein solchermaßen auf Farbe konzentriertes, konkretes Bild aber nicht isoliert für sich steht, sondern der Betrachter im Anschauen seine visuellen Erfahrungen / Erinnerungen mitverarbeitet, die Sicht auf ein solches Werke also viel mit Projektion und Reflektion (letzteres im doppelten Wortsinn) zu tun hat, möchte ich doch versuchen, etwas über die Eigenart der Gemälde von Gabriele Schade-Hasenberg zu sagen, indem ich erzähle.

 

Lassen sie mich daher zunächst meinen Weg der Annäherung an die Malerei von Gabriele Schade-Hasenberg schildern. Dieser Weg beginnt mit einem Naturerlebnis: An dem Tag, an dem ich nach Berlin aufbrach, um mir die für die Neue Galerie in Landshut bestimmten Gemälde im Atelier der Künstlerin anzusehen, habe ich morgens noch eine Hunderunde durch den Englischen Garten gedreht. Dort gibt es einen kleinen, sich windenden Weg, der von Kiefern und Lärchen gesäumt wird. Die Nacht zuvor war frostig. Die Lärchen hatten in dieser Nacht alle Nadeln fallen lassen, so dass der Weg von einer dicken Schicht feiner goldgelber, orange-gelber, grüngelber und sienafarbenen Striche überdeckt war. Diese – sie merken es – unbeschreibliche, in den Farbwerten undefinierbare Nadelbahn war nicht nur Oberfläche sondern auch Tiefe. Als ich staunend darüber hinwegging, verschwand die Festigkeit des gefrorenen Bodens unter den Schuhen, der Schritt begann zu gleiten, zu federn, zu schweben. In mitten dieser schillernd gelben Fläche lösten sich die gewohnten Raumgrenzen völlig auf…

 

Angekommen in Berlin, durch mehrere – gestalterisch bemerkenswerte – U-Bahnschächte gehetzt, sechsspurige Straßen gequert, die Treppen zum Atelier genommen, trotz erheblicher Verspätung herzlich empfangen als würde man sich seit Jahren kennen, betrete ich die eine Hälfte des Ateliers, in dem Gabriele Schade-Hasenberg vier großformatige Bilder an die weißen Wände gelehnt hatte: eins zur Linken und drei zur Rechten. Den Auftakt bildete ein Hochformat: Da war es wieder dieses Lärchennadel-Gelb, das kein Gelb ist, aber auch kein Grün, kein Braun, und doch Grün und Umbra beinhaltet, nein, im Streiflicht des Tages sogar Gold, nein nicht Gold, Ocker, Siena…

 

Konkrete Malerei bildet nicht ab, sie ist auf keinen Fall mimetisch, ahmt nicht im klassischen Sinn Natur nach und doch ist sie der Natur auf der Spur, indem sie die Mittel der Natur verwendet, nutzt: Gewebe, Pigmente, Öle, Harze und nicht zu vergessen das sich wandelnde, vom Raum beeinflusste Licht, das alles zur Erscheinung bringt, das sich mehrfach im Bild bricht und den Farben Tiefe und Leuchtkraft verleiht.

Ein Werk der konkreten Kunst ist Erscheinung und Anschauung im Moment und im Raum der Begegnung von Bild und Betrachter.

Schade-Hasenberg hat sich vor langer Zeit dazu entschlossen, sich allein dem Phänomen Farbe zu widmen. Ich benutze hier sehr bewusst das Wort Phänomen: Das Wort kommt aus dem Griechischen. Das Verb „phainein“ heißt „Sichtbar machen“; das Substantiv „Phainomenon“ benennt „sinnlich Wahrnehmbares“; ein Phänomen wird aber auch als Wunder gedeutet, es ist sichtbar, aber nicht bestimmbar. Und genau in diesem Bereich des sichtbaren Unbestimmten bewegt sich Schade-Hasenberg, wenn Sie sich ausschließlich mit Farbe beschäftigt. Wenn man so will, ist ihr Bildgegenstand das Mysterium Farbe.

 

Die Arbeitsweise von Schade-Hasenberg ist dabei suchend, tastend bis tatsächlich etwas erscheint, das weiter verfolgt, verdichtet, konkretisiert werden kann. Man kann die Arbeitsweise als wissenschaftlich bezeichnen. Es gibt einen Versuchsaufbau, die Entscheidung ein bestimmtes Farbspektrum zu erkunden. Neugier und Selbstkontrolle begleiten den Prozess, der vom Zufälligen ins Bestimmte überführt wird. Schade-Hasenberg hat Chemie studiert, sie hat einen angesehenen und auskömmlichen Beruf gegen die Berufung getauscht. Sie hat die Freiheit gewählt, ihre Zeit allein dem Experiment Farbe zu widmen, einem unausschöpflichen Prozess. Sie hat mit der Freiheit zugleich einen Reichtum an selbstbestimmter Zeit gewonnen, die Strich für Strich in ihre Kunst einfließt. Ihre Gemälde sind sublimierte Zeit. Sublimieren heißt steigern, läutern, verfeinern. In der Chemie werden damit Reinigungsprozesse bezeichnet.

 

Man kann die Arbeitsweise von Schade-Hasenberg auch als Meditation begreifen: Als Trägermaterial verwendet sie feingewebte Baumwolle, eine Leinwandbindung wäre schon zu grob, zu strukturiert. Sie beginnt mit Pigmenten, die in einer sehr wässrigen Eitempera gelöst sind, vorsichtig tastend in einem bestimmten Farbspektrum. Erst wenn Sie sich in diesem Spektrum sicher fühlt, erst wenn vor ihr etwas erscheint, das Bildqualitäten bekommt, geht sie über zur Ölmalerei, wobei sie Bindemittel mit einem hohen Harzanteil verwendet. Dünn lasierend trägt sie Schicht um Schicht auf und moduliert die Farbe, um deren Reichtum es ihr geht. Das ist ein äußerst langwieriger Prozess, denn die Schichten müssen immer wieder ganz auftrocknen, bevor die Künstlerin weiterarbeiten kann.

Während des Prozesses sind essentielle Fragen zu beantworten: Wann kann, wann muss man aufhören? Wann ist eine Farbfläche ein Gemälde? Wann kann das Bild für sich stehen? Wann entfaltet es seine Wirkung vollkommen?

 

Mit diesen offenen Fragen wechsle ich die Perspektive. Bisher habe ich vom Machen gesprochen, von einer Technik, die man altmeisterlich nennen kann. Die Grundlage bildet eine Art Tüchleinmalerei des 16. Jahrhunderts, darüber liegen die Schichten transluzente Ölmalerei, wie sie van Eyck als erster Maler vervollkommte. Die Malmittel, die Schade Hasenberg verwendet sind heutige. Ihr harzhaltiges Bindemittel bedingt auch eine andere Lichtbrechung als diverse Öle. Auf diese Lichtbrechung kommt es an. Ich habe die Malerei von Grund auf beschrieben, jetzt wende ich den Blick, nehme die Position des Betrachters ein und schaue auf das Bild:

Ein Bild mit glänzender, teils spiegelnder Oberfläche, die Schemen von mir und Schemen vom Raum reflektiert. Wer sich Zeit nimmt und sich „einsieht“, merkt wie diese Oberfläche sich in die Tiefe öffnet, wie aus dem Untergrund diffus andere Farben auftauchen, erscheinen und sich wieder zurückziehen. Im Anschauen gleitet der Blick in immer tiefere Farbgründe, schwebt richtungslos, von keiner Linie geleitet, von keinem Gegenstand und keiner Grenze behindert zwischen den Farbtönen und Farblagen, überlässt sich dem, was verborgen bleibt, dem Unnennbaren, dem Numinosen des Bildes und damit dem Zauber der Kunst.

Indem sich der Betrachter anschauend oder erschauend in das Gemälde mit seiner schwebenden Farbigkeit begibt, erschafft er das Kunstwerk meditierend für sich, für diesen Moment, in diesem Raum, bei diesem Licht, umspült von Seherfahrungen seines Lebens.

 

Ein Bild lebt durch das Miteinander, sich ausweitend und belebend in den Augen des feinfühligen Betrachters. Es stirbt auch daran. Es ist daher riskant, ein Bild in die Welt zu senden“, schrieb Mark Rothko 1952, der auf ganz andere Weise dem romantischen Idealismus des reinen (Farb)-Bildes anhing.

Ich hoffe sehr, dass die Gemälde von Gabriele Schade-Hasenberg sich hier in Landshut in den schönen alten Räumen der Neuen Galerie ausweiten können und im Miteinander von Mensch und Raum ein vielfältige, belebende Verwandlung erfahren. Ich wünsche Ihnen, liebe Kunstfreundinnen und Kunstfreunde, dass Sie die Muße mitbringen, um sich in den Gemälden zu verlieren oder erinnernd zu finden. Und sollten die Räume heute zu belebt sein, dann kommen Sie wieder, mit Zeit und spüren Sie dem nach, was konkrete Malerei, die nicht mehr und nicht weniger ist als unbestimmbare Farbe auf einer definierten Fläche, was diese konkrete Malerei, die nichts bedeuten will, nichts erzählen will, im Raum bewirken kann. Denn auch der Weg, den Sie durch die Ausstellungsräume nehmen, verändert sich durch den Zusammenklang der Bilder, die weit über die Fläche ihres Grundes hinauswirken.

 

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