Matthias Bleyl

Zu zwei Bildern von Gabriele Schade-Hasenberg

 

Rein äußerlich können die Gemälde von Gabriele Schade-Hasenberg zwei vage Erinnerungen hervorrufen: die vergleichsweise strengen geometrischen Formen -orthogonale Rechtecke - in einem engen Farbbereich lassen entfernt an Bilder Ad Reinhardts der 60er Jahre denken. Aber eben nur entfernt, denn es fehlt die größere Strenge der systematisch unterteilten Quadratform, meist die völlige Verdunkelung der Farbe und schließlich die Mattheit der Farbe. Hierin erinnern die Bilder eher an schwer gefirnisste ,,Alte Meister", etwa die weitgehend in Dunkelheit getauchten Gemälde Rembrandts, auf deren Oberfläche das reale Licht Reflexe bildet. Aber auch hier bleibt die Erinnerung vage.

Beide kunsthistorische Assoziationen leiteten in die Irre, wollte man ihnen ernsthaft folgen, sind aber nützlich, weil ihre Korrektur viel über die Gabriele Schade-Hasenbergs Bildern eigenen Qualitäten aussagen kann. Die Bilder entstehen eher aus einer Stimmung, einer Farbwahrnehmung oder -erinnerung heraus, nicht auf der Basis eines emotional neutralen geometrischen Farbformkonzeptes, zumal eines streng durchsystematisierten. Ihre ,,Freihandgeometrie" entsteht nicht vorbedacht, sondern dadurch, dass die hell grundierten, liegenden Farbträger zuerst locker aufgetragene, wässrig-dünne Eitempera-Untermalungen ohne festes Formziel erhalten. Die horizontale Position verhindert das Abfließen der Farbe, die sich statt dessen stauen und wolkige Strukturen bilden kann. Erst aus diesen gewinnt die Malerin im Lauf der Arbeit eine Formvorstellung, die sie durch zahllose nachfolgende Schichten ebenfalls wässrig-dünner, mit Kunstharz gebundener Farben langsam konkretisiert, so dass sich die erst lockere Anlage immer weiter verdichtet. Dieses Herausarbeiten fester Formen ist jedoch nicht allein an die noch eher amorphen Zufallsstrukturen der Untermalungen gebunden, also nicht willkürlich, sondern geschieht, je länger desto bestimmter, mit Blick auf eine stimmige Gliederung der Fläche. Die noch weitgehend willkürliche Struktur der Untermalung weicht also in der zweiten Arbeitsphase einer zwar von ihr noch angeregten, aber nun im wesentlichen von der Künstlerin bestimmten, jeweils immer wieder neu zu findenden Ordnung.

Zwar entstehen die Bilder, wie die von Ad Reinhardt, durch zahllose Überlagerungen dünner Farbschichten, doch liegt ihnen kein systematisches Formschema zugrunde. Das Farbformgefüge ergibt sich ohne vorausgedachte Absicht. Der naheliegende Begriff Komposition, also ein Ordnungsgefüge heterogener Bildelemente, erscheint bei Schade-Hasenbergs Bildern allerdings nicht unproblematisch - eventuell könnte er durch Konstellation ersetzt werden -, weil die Bildelemente nur bedingt heterogen sind: allen ist der orthogonale Bezugsrahmen sowie die Farbigkeit gemeinsam. Es sind eigentlich nicht der Fläche aufgesetzte autonome Formen, sondern ,,Unter-Farbformen", die zum einen durch ihre Orthogonalität immer mit allen anderen wie auch mit dem Bildformat, zum anderen sowohl farblich wie textural zusammenhängen. Alle liegen innerhalb eines meist eng gesteckten Farbhorizontes, etwa Rot, in dem sich die Formen nicht besonders isolieren. Es finden sich dunklere Rottöne in (nicht auf!) helleren Rottönen und bleiben mit diesen durch den Lasurauftrag eher weich verschliffen.
Hierbei ist nun das Bindemittel wichtig, nicht nur als technische, sondern auch als ästhetisch wirksame Komponente der Gestaltung. Eine lediglich mit Firnis überzogene Ölmalerei könnte die gewünschten Wirkungen nicht erzeugen. So sehr sich die Farben in Schade-Hasenbergs Malerei verdichten und verdunkeln mögen, bleiben sie doch stets hinterlichtet, das heisst erhalten ein Tiefenlicht von der unter ihnen liegenden hellen Grundierung durch alle Farbschichten hindurch; ein Effekt, der sich der Brechungsfähigkeit des Lichtes durch die Kunstharzlagen verdankt. Grob vereinfacht lässt sich die Farbschicht mit einer in der Substanz gefärbten Glasscheibe vergleichen, die auf einem hellen Grund liegt und diesen durchscheinen lässt. So verdankt sich auch das satte Leuchten der Farbe von Schade-Hasenbergs Gemälden der Helligkeit aus der Tiefe, und sei sie noch so sehr zurückgedrängt. Ölmalerei, auch lasierende, könnte dies schon deshalb nicht in gleicher Weise leisten, weil ihr Bindemittel einen anderen Lichtbrechungsindex hat.
Ein zweiter ästhetisch relevanter Effekt resultiert aus der technischen Vorgabe. Das Kunstharzbindemittel erlaubt nicht nur eine innere Einflussnahme der Farbe auf das Licht, nämlich die Brechung, sondern auch eine äußere, den Reflex. Auch hier wäre die Wirkung anders, handelte es sich etwa um einen nachträglichen Firnis, der die Farbe ja ähnlich versiegelte wie eine unmittelbar aufliegende Scheibe Klarglas, nur dünner. Das Licht muss nicht erst diese Schutzschicht überwinden, bis es auf die Farbe trifft; es wird unmittelbar von der gesättigt glänzenden Farbe zurückgeworfen. Dadurch wird der ,,reine” Farbeindruck - wenn es denn einen solchen jemals geben könnte - natürlich stark beeinträchtigt. Lichtreflexe, Spiegelungen der Umgebung, Gegenstände anderer Farbigkeit, der gespiegelte Betrachter selbst verunklären die Sichtbarkeit der Farbformzusammenhänge, was jedoch nicht als Verlust misszuverstehen ist, sondern geradezu als Aufforderung, sie sich visuell zu erarbeiten. Der Gehalt dieser Malerei liegt nicht bloß zutage, er muss vom Betrachter durch eigene Leistung gewonnen werden; gar nicht unähnlich einem ,,glänzenden” Alten Meister, dessen Feinheiten in den Dunkelheiten ebenfalls oft ,,verspiegelt” erscheinen, unserer Aufmerksamkeit letztlich jedoch nicht entgehen. Hierin unterscheidet sich Schade-Hasenbergs Malerei deutlich von etwa industriell lackierten Produkten homogener Farbigkeit, die in der heutigen Kunst bisweilen als Malerei deklariert eingesetzt werden. Denn während dort die Farbe hinter dem Reflex im Grunde beliebig ist, muss sie hier als eigener ästhetischer Wert mit Farb -und Formqualität ent-deckt, freigelegt werden. In dieser Malerei ist, anders als beim industriellen Produkt, nichts oberflächlich, außer den zu überwindenden Reflexen. Die verschiedenen Produktionsbedingungen und die Wirkungen aller Faktoren dieser Gemälde hängen miteinander zusammen. Nichts ließe sich isolieren oder verändern, ohne das Ganze zu verfälschen oder zu zerstören. Sie bilden eine völlige künstlerische Einheit.